Ein recht junger Zweig der Pflanzenheilkunde ist das Gebiet der Gemmotherapie, die von dem belgischen Arzt Dr. Pol Henry (1918-1988) entwickelt wurde. Die Gemmotherapie ist vor allem in Frankreich und Belgien weit verbreitet.
Bei der Gemmotherapie werden ausschließlich Knospen (Lateinisch = gemma), frische Triebspitzen und junge Schößlinge verwendet. In diesen frischen Trieben sitzt die volle Lebens- und Entwicklungskraft der Pflanze. Die jungen Triebe und Knospen sind besonders reich an pflanzlichen Wachstumsfaktoren, die Pflanze befindet sich in dieser Wachstumsphase in ihrer maximalen Vitalität.
Dies macht sich die Gemmotherapie zunutze und extrahiert aus den Knospen die wertvollen Inhaltsstoffe wie Eiweiße, Enzyme, Nukleinsäuren, bestimmte Pflanzensäuren, Steroide, Isoflavone, Cytokine und viele weitere sekundäre Pflanzenstoffe.
Bei der Gemmotherapie wird die Phytosoziologie in den Behandlungsgrundsatz mit einbezogen. Dies bedeutet, dass Pflanzen, die in ihren natürlichen Biotopen gemeinsam gedeihen, immer kombiniert eingesetzt werden. Auf diese Weise nutzt man besondere Synergieeffekte zwischen den unterschiedlichen Pflanzengruppen. Es wird immer ein Baum-Mittel, ein Strauch-Mittel und ein Kräutermittel kombiniert eingesetzt. Der Baum steht nach Henrys Auffassung an der Spitze der pflanzlichen Entwicklung . Über den jeweiligen Baum wird die Störungdefiniert, die mit der Gemmotherapie behandelt werden soll. Unterstützt wird die Behandlung durch ein Strauch-Mittel. An dritter Stelle stehen die biotopspezifischen Kräuter, die durch Drainagewirkung die gesamte Behandlung begleiten sollen.
In der Gemmotherapie werden vier Biotope unterschieden:
1. Alnus-Betula-Biotop - das Esche-Birke-Biotop. Mit Mitteln aus diesem Biotop sollen akute Beschwerden und Krankheiten behandelt werden.
2. Quercus-Biotop - das Eiche-Biotop. Mit Mitteln aus diesem Biotop werden subakute Beschwerden behandelt.
3. Fagus-Biotop - das Rotbuchen-Biotop. Mit Mitteln aus diesem Biotop werden vorwiegend chronische Erkrankungen behandelt.
4. Caluna-vulgaris-Biotop - das Besenheite-Biotop. In diesem Biotop gibt es keine Baumzuordnung mehr.
In der Gemmotherapie werden häufig Komplexmittel aus einem Baum-Mazerat, einem Strauch- und einem Kräutermittel eingesetzt. Die Mittel werden in der homöopathischen Potenz D1 angewendet.
Dr. Pol Henry hat 20 Knospenextrakte identifiziert:
Edeltanne (Abies pectinata) - Schnupfen, Nasennebenhöhlenentzündung, Husten
Eiche (Quercus pedunculata) - kräftigend bei Schwäche und Erschöpfung
Esche (Fraxinus excelsior) - stärkt die Nieren, unterstützt die Entgiftung
Esskastanie (Castanea Vesca) - regt den Lymphfluss an, Entgiftung
Feigenbaum (Ficus carica) - entspannt und beruhigt, wirkt gegen Stress
Hasel (Corylus avellana) - kräftigt Lunge und Leber, besonders bei chronischen Atemwegserkrankungen
Heckenrose (Rosa canina) - wirkt gegen Entzündungen, stärkt das Immunsystem, besonders bei Erkältungskrankheiten
Heidelbeere (Vaccinium myrtillus) - bei Harnwegsinfektionen, bei Diabetes
Himbeere (Rubus idaeus) - bei Beschwerden in der Rolligkeit
Mammutbaum (Sequoia gigantea) - bei Erschöpfung, zur Regeneration
Olivenbaum (Olea europaea) - bei Bluthochdruck und erhöhtem Cholestrinspiegel
Preiselbeere (Vaccinium vitis idaea) - stärkt die Knochen, bei Osteoporose und Osteomalazie
Rosmarin (Rosmarinus officinalis) - unterstützt Leber und Galle
Schwarze Johannisbeere (Ribes nigrum) - gilt als natürliches Kortison der Gemmotherapie, besonders bei Allergien und Hauterkrankungen
Silberbirke (Betula linfa) - zur Entgiftung, bei arthritischen und rheumatischen Beschwerden
Silberlinde (Tilia tomentosa) - bei Nervosität und Unruhe
Wacholder (Juniperus communis) - stärkt Leber und Nieren
Walnussbaum (Juglans regia) - gegen eitrige Hauterkrankungen, unterstützt die Bauchspeicheldrüse
Weinrebe (Vitis vinifera) - bei chronischen Entzündungen
Wolliger Schneeball (Viburnum lantana) - stärkt Bronchien und Lunge